Passagen
Die Verführung des Raums

Die Tanzperformerin Cornelia Huber schafft neue Räume und lässt deren Puls in getanzten Bildern sichtbar werden.

Den Räumen, die Cornelia Huber für ihre Tanzstücke schafft, ist gemeinsam, dass sie wie eine eigene Persönlichkeit das Geschehen auf der Bühne mitbestimmen. Für ihre neueste Tanzperformance «Mehr Zeit zum Leben 1», einen Migros-Slogan für Convenience-Produkte zitierend, hat Huber den Raum 33 in eine Kunstinstallation verwandelt: ein Wohnzimmer mit Buffet, Sesseln, Tisch, Schränkchen an den Wänden, Bildern und Pflanzen und jeder Menge durchsichtige glitzernden PET-Gefässen. Im Hinterzimmer sichtbar ein Schlafraum mit weissen Möbeln, die sich beim zweiten Hinsehen als aufeinander gestapelte Styropor-Verpackungen entpuppen. Durch die mit Plastik bespannten Glasscheiben fällt milchig bläuliches Licht. Kein ganz gewöhnlicher Raum. Aus den Schränkchen quillt zusammengeknülltes Papier. Die Fotografien an den Wänden sind verblasst, die Fetzen alter Tapeten ebenfalls und in Kunstharz eingegossen findet sich eine Galerie von Zigarettenstummeln, irgendwo ein etwas zerfleddertes Ohrenstäbchen, eine künstliche Blume und sonst allerhand, was man an der Wand eines Wohnzimmers nie und nimmer vermuten würde. Die Raumsituation, die Cornelia Huber hier inszeniert hat, ist wunderschön, traumverloren und seltsam verrückt. Seine Erinnerungen scheint dieser Raum förmlich zu atmen. Dürre Zweige wachsen wie Geweihe aus durchsichtigen Plastikköpfen heraus. Holzstücke lehnen an der Wand. Sonstige trockene Pflanzen und Äste werden mit roter Farbe bemalt zu Korallen. Eine zartgrüne Himbeerranke streckt sich zur Decke.
In einem Sessel sitzt einen Frau. Die Tänzerin Viviana Escalé Pelliza und verstrickt dicken, braunen Wollfaden, der ihr in einem Haufen zu Füssen liegt. Sie beginnt, die Wolle in ausladenden Bewegungen aufzurollen. Cornelia Huber bringt dieses Wolle-Aufrollen zum Klingen, indem sie von einem an der Decke hängenden Mikrofon mit Papier und Plastik Geräusche macht. Überhaupt klingt der Raum und scheinen die skurrilen Gegenstände darin zu sprechen. In ein Aquarium tropft von der Decke Wasser. Die Frau lauscht den Objekten im Raum, verstellt da etwas, platziert hier eine zerschnittene Petverpackung neu oder legt sich in einen knirschenden Haufen von zerschnittenen Petgefässen am Boden. Die getanzten Bewegungssequenzen sind poetische Momentaufnahmen einer Befindlichkeit, die in und mit diesem Raum entstehen. Eine Stimme spricht den inneren Monolog der auf dem Bett liegenden Frau, die sich an die Stimmung an einem Fest erinnert.
Nach ihrer letzten Gruppenarbeit «Livingroom» sucht Cornelia Huber mit diesem Solo für eine Tänzerin nun wieder die kleinere Form und setzt damit bei ihrer 2004 im Theater Roxy gezeigten Carte Blanche «Raumspuren» an. Skurril versponnen und detailversessen zaubert sie richtiggehende Gesamtkunstwerke auf die Bühne, in denen Tanz, bildende Kunst und Text zusammenwachsen. Diese Arbeit ist eigen, neu, kraftvoll, zart und inspirierend. Sich von diesen Welten verführen zu lassen und sich in sie zu versenken, ist eine regelrechte Freude.

Weitere Vorstellungen am 15., 16. und 17. Juni 2007 jeweils 20 Uhr im Raum 33 an der St. Alban Vorstadt 33 in Basel.

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Tanzen mit allen Sinnen

Die aus Tel Aviv stammende Batsheva Dance Company zeigt eine herausragende Vorstellung: Die Tänzer und Tänzerinnen begeistern mit der Präzision ihrer Bewegungen und der Individualität gleichermassen.

BASEL. Die Batsheva Dance Company aus Tel Aviv ist gleich mit drei Stücken ans steps #10 Festival gereist. In der Kaserne zeigt die Company, die aus siebzehn Tänzern und Tänzerinnen besteht, den dreiteiligen Abend «Three: Botschaften über die Sinnlichkeit». In anderen Schweizer Städten werden auch die Stücke «Mamootot» und «Deca Dance» aufgeführt. Die Company wurde 1964 von Martha Graham und der Baronin Batsheva De Rothschild in New York gegründet. Ihr Kopf ist seit nunmehr zehn Jahren der dreiundfünfzigjährige Choreograf Ohad Naharin. «Deca Dance» entstand anlässlich seines zehnjährigen Bühnenjubiläums als künstlerischer Leiter von Batsheva.
Die Company ist international besetzt. Die Tänzer und Tänzerinnen entwickeln auf der Bühne mit ihren aufeinander abgestimmten Bewegungen eine vibrierende Kraft und eine betörende Energie. Gleichzeitig wird ihre individuelle Persönlichkeit immer wieder ins Spiel gebracht, denn Ohad Naharin arbeitet bei der Entwicklung der Stücke mit den Mitgliedern der Company zusammen. Vor drei Jahren hat er mit «Gaga» eine Methode eingeführt, die die eigenen Bewegungswelten der Tanzenden fördert. Dabei wird nicht in erster Linie die technische Ausgefeiltheit der Bewegungen fokussiert, sondern, ähnlich wie auch bei der Alexandertechnik, die bewusste Entscheidung für die Art der Bewegungsausführung, ihre Effektivität und die Umsetzung der Vorstellung einer Bewegung gefördert.
Die drei Stücke, «Bellus», «Humus» und «Secus», aus denen der rund eine Stunde dauernde Tanzabend «Three: Botschaften über die Sinnlichkeit» zusammen gesetzt ist, werden zu völlig unterschiedlichen Musikstilen getanzt. Alle Teile beginnen aus der Ruhe: Die Tänzer und Tänzerinnen sind auf der Bühne verteilt und blicken ins Publikum. Dabei entsteht im Raum eine knisternde Spannung, die die Company im Lauf des Abends stetig steigert. Aus der Ruhe führt ein plötzlicher Impuls in die Bewegung, die Tänzer und Tänzerinnen treten durch die Lücken in den dunkelgrauen, hohen Bühnenelementen ab, die die Bühne umschliessen oder formieren sich neu.
Mit «Bellus» wird der Abend zur Interpretation der Goldberg-Variationen von Glen Gould eröffnet. Hier wird mathematische Bauweise von J.S. Bachs Komposition in Choreografie übersetzt. Ein Tänzer beginnt alleine auf der Bühne, eine Tänzerin tritt auf, wartet ruhig in ihrer Position bis er seine Bewegungen zu Ende geführt hat und abgeht, um dann selbst mit ihrem Tanz einzusetzen. Das geht so weiter bis die Einzelpersonen sich zu Duos und kleinen Gruppen fügen, die sich immer wieder neu finden und in die Bewegungen des Anderen einsetzen, ohne sich ins «Wort zu fallen», sondern sich ergänzend. Die Komplexität des Stücks erfordert im Timing eine enorme Konzentration, die Company agiert präzis und virtuos. Die Bewegungen sind fliessend und wunderschön, ohne gefällig zu sein, manchmal mit wunderbar skurrilen Sprüngen und Bewegungsfolgen.
Dass es Ohad Nahadin mit «Three» auch um eine getanzte Reflexion über den Tanz selbst geht wird in den Übergängen zwischen den drei Teilen klar. Ein Tänzer erscheint mit einem Fernseher unter dem Arm. Darin ist nur gerade der Kopf eines fast gleich aussehenden Mannes zu sehen, der das nun folgende Stück vorstellt. Im zweiten Stück «Humus» liefern sich neun Tänzerinnen einen sinnlichen Reigen, ein verführerisches Bewegungsspiel zu Musik von Brian Eno. Im letzten Teil «Secus» schliesslich stehen nach einer weiteren Fernseh-Ansage alle siebzehn Tänzer und Tänzerinnen der Company auf der Bühne. Auch hier verblüffte die perfekte Tanztechnik der Company. Die Bewegungen aber bilden am Schluss, nach einem ironischen Pas de Deux zwischen zwei Männern, einen bitterbösen Kommentar, wenn die Tänzer und Tänzerinnen, in drei Reihen auf der Bühne verteilt, einzeln antreten, um nun gegen das Publikum gewendet kurze, knappe Bewegungssequenzen vorzuzeigen. Diese gestischen Kommentare werden immer ausfälliger, das Publikum wird zum Spanner in dieser stark getanzten, exhibitionistischen Darstellung, in der, wie auf dem Exerzierplatz, die Körper sich zu trimmen und auszustellen haben. Die Leistungen der Company an diesem einmaligen Tanzabend wurden vom Publikum mit minutenlangen Standing Ovations belohnt.

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Obszöne Blicke

Die Compagnie Philippe Saire liefert mit der Choreografie «[ob]seen» keinen gefälligen Tanz, sondern konfrontiert das Publikum mit der Frage, womit es seine Blicke gerne bedient haben möchte.


Im Jahr 1974 zeigt Marina Abramovich unter dem Titel «Rhythm 0» eine Performance, in der sie 72 Objekte auf einem Tisch präsentiert, die das Publikum nach Wunsch am Körper der Performerin einsetzen kann. Marina Abramovich selbst übernimmt für die Dauer der rund sechsstündigen Performance die volle Verantwortung über das Geschehen. Auf dem Tisch liegen nicht nur harmlose Objekte wie Kleider oder Blumen, sondern auch eine Pistole mit Patrone, Ketten, Nägel und Messer.
An die Bilder dieser vor mehr als 30 Jahren durchgeführten Performance erinnert man sich an den TanzTagen Basel 05 im Theater Roxy im ersten Teil des Stücks «[ob]seen» der Lausanner Compagnie Philippe Saire spätestens dann, als ein Tänzer auf dem Podest in der Bühnenmitte von vielleicht vier Quadratmetern seinen entblössten Hintern dem Publikum zum ficken anbietet. «Fuck me» steht auf dem Schild, das über seinem Rücken baumelt. Das Publikum lässt sich nicht bewegen, auch wenn der Tänzer sein Angebot mehrmals mündlich bekräftigt. Die Leuchtziffern der digitalen Uhr, die über der Bühne hängt, zeigt Minute 32 an und man wohnt schon seit einer halbe Stunde einer Abfolge von Szenen bei, in denen vier Tänzer und zwei Tänzerinnen ihre Körper vor dem Publikum entblössen: Ein Kopfstand auf dem Podest lässt das Kleidchen über den nackten Körper der Frau gleiten, zwei Männer reissen einer Frau brutal die Hose herunter. Kleider ausziehen, Körper zeigen, Geschlechtsteile vorführen, Kleider anziehen, aufs Podest und wieder runter. Die Zuschauer sitzen dabei im gedämmten Saallicht und können sich nicht ins sichere Dunkel stehlen. Entsprechend ist die Spannung, die sich zwischen den Performern und dem Publikum aufbaut. Die Blicke werfen sich in diesem obszönen Spektakel in alle Richtungen.
Philippe Saire gehört zu den wichtigsten Protagonisten des Schweizer Tanzschaffens. Nebst der eigenen choreografischen Arbeit setzt er sich als künstlerischer Leiter des «Théâtre Sévélin» unermüdlich für die freie Tanzszene und für die Förderung des jungen Tanzschaffens ein. Der Tänzer und Choreograf liefert keine gefällige Tanzkost. Eher ist ihm der Tanz ein Medium, das zum Durchleuchten der Gesellschaft und zur Reflexion der eigenen Position als Tänzer eingesetzt wird. Entsprechend düster sind oft die Stücke, Gewalt ist immer in irgendeiner Form ein Thema, die Bewegungen sind kraftvoll und erproben die Grenzen des Machbaren. Das haben schon die beiden Stücke gezeigt, die die Compagnie Philippe Saire bisher in Basel aufgeführt hat, «Les Affluents» und das Solo «Jour de fuite». Eigentlich zum Tanzen kommt die Compagnie im Stück «[ob]seen» erst in der zweiten Hälfte. Die digitale Uhr zählt in der zweiten Halbzeit die ersten vierzig Minuten wieder zurück. Man könnte diesen zweiten Teil als eine Art Entgegnung auf den ersten performativen Teil des Stücks lesen: Was passiert mit den Menschen und ihren Körpern, wenn sie so ausgesetzt, ausgestellt und gedemütigt werden, wie das im ersten Teil bis zum Exzess vorgezeigt worden ist? Demonstriert wird eine Bewegungssprache der Entgleisungen: Bis zur Erschöpfung werfen sich die Tänzer und Tänzerinnen auf den Boden, stossen gegeneinander und voneinander ab, taumeln, schlenkern, wippen und zittern zum dröhnenden Sound und flackernden Licht über die Bühne.
Philippe Saire stellt mit «[ob]seen» nachdrücklich die Frage danach, was gezeigt werden kann und was gesehen werden will: Die Frage ist in Zeiten, in denen man sich mit der Bierflasche gemütlich auf dem Sofa sitzend den harten Stoff der Nachrichtensendungen mit den neuesten Monstrositäten einverleiben kann, noch so aktuell wie vor dreissig Jahren. Allerdings lässt sich die immer gleiche, auswegslose Frage anschliessen, die sich auch bei der Betrachtung von Philippe Saires Stück stellt: Lässt es sich dem Monströsen oder dem Obszönen beikommen, indem es gezeigt wird? Eine Antwort könnte das Schlussbild des Stückes liefern, das das menschlichen Verlangen nach Schutz und Zärtlichkeit zeigt: Ein Tänzer und eine Tänzerin liegen aneinander gedrängt am Boden, er drückt seinen Kopf immer stärker gegen ihren Bauch, wie wenn er darin versinken wollte.

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Dem Ich über die Schulter geguckt

Die Genfer „Alias Compagnie“ präsentiert im Rahmen von STEPS #9 ihr neues Stück in der Kaserne und zeigt Tanz von der aberwitzigen Sorte.

Fotografien aus Kindheitstagen dürften bei den meisten Menschen eine Gefühlslage zwischen Melancholie und Fremdheit hervorrufen. Das Kinder-Ich ist entschwunden und steckt doch noch in uns. Hinter der scheuen, tapsigen Blonden lässt sich noch das Mauerblümchen von Einst ausmachen und der Macho von Heute ist schon in seiner Jugend ein kleiner Frauenheld gewesen. Solche Bilder evoziert der Choreograph Guilherme Botelho mit seiner Genfer „Alias Compagnie“ im neuen, eigens für die neunte Ausgabe des Tanzfestivals „STEPS“ choreographierten Stück „Vaguement derrière“. Womit die Sache mit der Kindheit, die wir in uns herumtragen, schon im Titel angedeutet wäre. Oder mit der Metapher des Genfer Schriftstellers Georges Haldas ausgedrückt, dessen Texte die Compagnie beim neuesten Stück inspiriert haben: „Wir bewohnen ein Haus, das wir nicht selbst gebaut haben.“
Die Stücke der „Alias Compagnie“ überzeugen immer wieder mit ihren präzisen Umsetzungen einer ganz genau beobachteten Welt. Die Tänzerinnen (Caroline de Cornière, Palina Krause, Corinne Rochet) und Tänzer (Christian Bakalov, Fabio Bergamaschi, Shaun Parker, Joseph Trefeli, Asier Zabaleta) schlüpfen mit Bravour in ihre Rollen und oft genügt nur eine winzige Geste, eine Schnute im Gesicht etwa, um aus den Erwachsenen den Halbwüchsigen zu kristallisieren. Das Resultat sind Bewegungsbilder, die sich auf eine seltsam bekannt anfühlen, weil sie eigene Erinnerungen wachrufen. Die dargestellten Figuren sind stark typisiert und schlittern immer gerade soweit am Klischee vorbei, dass sie noch glaubhaft sind und auf ihre ganz eigene Art auf der Bühne wahrhaftig werden. Da ist alles immer auch ein bisschen auf der Kippe, aber genau diese haarscharfen Grenzgänge machen den Stil der „Alias Compagnie“ aus. Der Aberwitz kippt mit der gnadenlosen Wiederholung schier ins Bodenlose. Genau im richtigen Moment fangen die Tänzer und Tänzerinnen das Szenario auf, das damit als poetisches Bild haften bleibt. Das ist ein dauerndes Hin und Her zwischen Spiel und Kampf, Zärtlichkeit und Grausamkeit, Leichtigkeit und tierischem Ernst.
Die einzelnen Geschichten und Bewegungsbilder des Stücks sind in ein ebenso simples wie bestechendes Bühnenbild von Gilles Lambert integriert. Der Tanzteppich bäumt sich im Hintergrund zu einer steilen Rampe auf, die Rutsche und Kletterwand, Spiel- und Kampfplatz gleichzeitig ist. Darauf und darum treibt die Compagnie Tollkühnes. Der Dandy versucht unnachgiebig und stur eine Frau auf die Rampe zu schleppen, die wie tot über seinem Rücken baumelt und, kaum oben angekommen, schlaff wieder nach unten rutscht. Das blonde Mauerblümchen versucht mit letzter Verzweiflung wieder und wieder die Rampe hochzuklettern, während zwei Jungs im Vordergrund sich solange prügeln, bis einer von ihnen bewegungslos liegen bleibt. Solche Szenen erfordern von den Tänzern und Tänzerinnen einen Körpereinsatz, der bisweilen, selbst für die Zuschauer, bis zur Schmerzgrenze geht.
„Vaguement derrière“ erzählt von der verlorenen Kindheit, vom Erwachsen werden, von der ersten Liebe, davon alles zu gewinnen oder alles zu verlieren und auf der Strecke zu bleiben. Raffiniert ist auch der Umgang mit der Zeitlichkeit. Zum einen wird das Geschehen auf der Bühne, ganz dem momentanen Zeitgeist entsprechend, in die Fünfziger Jahre versetzt. Die Frauen tragen bunte, weit schwingende Kleider, es wird Rock’n’roll getanzt und zu hören gibt’s jede Menge musikalische Evergreens. Ausserdem scheinen die Figuren während des Stücks tatsächlich verschiedene Lebensalter zu durchlaufen. Dazu passt auch das Schlussbild: Ein Mann steht einsam auf der Rampe und blickt von der Hügelkuppe mit dem Rücken gegen das Publikum in den nachtblauen Himmel. Unter ihm eine kleine Hütte auf Rädern, die so klein erscheint, wie etwas aus dem der, der da steht, herausgewachsen ist. „Vaguement derrière“ ist ein Tanzstück, das zwischen Witz und Melancholie und Lust und Gewalt pendelt – dem poetischen Sog, der dabei entsteht, kann man sich als Zuschauer kaum entziehen.

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Die Orientsehnsucht auf der Spitze

Der Ballettstar Vladimir Malakhov und sein Ballett der Deutschen Staatsoper Berlin beendeten mit einem aufwändigen Spektakel das Festival "basel tanzt".

Heinz Spoerli verstand es auch in der diesjährigen Ausgabe von „basel tanzt“, jedem Tanzgeschmack Köstlichkeiten zu servieren. Als Schlussbouquet des Tanz-Spektakels zeigten am vergangenen Wochenende im Musical Theater Vladimir Malakhov und sein traditionsreiches Ballett der Deutschen Staatsoper Berlin „Die Bajadere“. Damit hatte man das Festival nicht nur mit klassischem Tanz eröffnet, sondern beendete es, nach kontrastreichen Zwischenspielen, auch wieder mit klassischem Ballett. Die Aufführung des Handlungsballetts ist ein Rückgriff in die Ballettgeschichte, denn „Die Bajadere“ wurde in der Choreographie von Marius Petipa zur Musik von Ludwig Minkus in St. Petersburg 1877 uraufgeführt. Der Startänzer und Ballettdirektor Vladimir Malakhov hat seine Variante der Bajadere nach Petipas Choreographie gestaltet, wobei er den verlorenen letzten Akt gänzlich neu choreographiert hat. Unterdessen wurde Malakhovs Neuinszenierung aus dem Jahr 1999 seltsamerweise vom Zeitgeist eingeholt. Denn kein anderes Ballett verdankt sich so sehr der romantischen Orientsehnsucht des 19. Jahrhunderts wie eben „die Bajadere“. Und schliesslich ist auch uns mit den politischen Geschehnissen der letzten Monate der Orient wieder näher ins Bewusstsein gerückt. Noch während die Alliierten Bombenangriffe gegen den Irak flogen, hat das Orient-Fieber westliche Mode und westlichen Lifestyle ergriffen.
Solchen Gedanken aber brauchte sich ein Zuschauer, der sich „die Bajadere“ am vergangenen Wochenende zu Gemüte führte, nicht hinzugeben. Denn Malakhov und seine Truppe verzauberten ihr Publikum mit feinstem Ballett, prunkvollen und farbenprächtigen Kostümen und aufwändigem Bühnenbild. Die Geschichte von der indischen Tempeltänzerin Nikia und ihrem Liebsten, dem Krieger Solor, der die Tochter des Radscha heiraten soll, wurde vor der Kulisse eines elefantengeschmückten Palastes inszeniert.
So richtig auf Touren kam das Stück allerdings erst nach der Pause. Da gibt es die grossen Solisten-Parts und die gewaltigen Ensemble-Einsätze. Dieser zweite Teil schrieb gleichsam Ballettgeschichte mit jener Traumszene, in der 32 weissgewandete Bajaderen als Schatten im Tutu Arabesque um Arabesque im Zickzack eine Rampe herunter tanzen. Es ist, wie wenn man in seinem eigenen Traum sitzen würde, wenn sich die Bühne so langsam und schwebend füllt. Wie Solor zwischen den beiden Frauen hin- und hergerissen wird, wie ihn der Schatten Nikias, die durch eine Intrige umgekommen ist, von der Heirat mit der Tochter des Radschas Hamsatti abzuhalten sucht, auch das ist kraftvoll inszeniert. Da begeistert Vladimir Malakhov als Solor mit seinen so mühelos wirkenden Sprüngen während Diana Vishneva als Nikia und Beatrice Knop als Hamsatti mit ihrer schwebenden, spitzengetanzten Leichtigkeit und Luftigkeit dem Publikum den Atem rauben. Am Schluss ist es wie so oft: die Liebenden finden sich erst im Tod, nachdem die Tempelmauern eingestürzt sind. Am besten gefallen an diesem Ballettabend haben die Schattenszenen. Nicht nur, weil das wunderschön getanzt war, sondern vor allem, weil sich darin die narrative Kraft, die Ballett haben kann, aufs Eindrücklichste offenbart hat.

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Tanzbilder im Kaleidoskop

Anne Teresa de Keersmaeker und ihre “Rosas” zeigen an "basel tanzt" einen komplexen Tanzabend nach Igor Strawinskys „Les Noces“.

Gleich zwei Choreographien, mit denen die Belgierin Anne Teresa De Keersmaeker letztes Jahr das zwanzigjährige Bestehen ihrer Tanzkompanie „Rosas“ gefeiert hatte, konnte man sich im Rahmen von „basel tanzt“ angucken. In ihrem Solo „Once“ tanzte De Keersmaeker selbst zu den Protestsongs von Joan Baez. Im Gruppenstück „(but if a look should) April me“ konnte man dagegen die furios tanzenden „Rosas“ erleben.
Mit ihrem Stück „(but if a look should) April me“, dessen Titel aus einem Gedicht von EE Cummings entlehnt ist, hat Anne Teresa De Keersmaeker sich nun das erste Mal in ihrem Schaffen an einem Handlungsballett orientiert. Strawinskys „Les Noces“ bildet dafür die Vorlage: die russische Bauernhochzeit war 1923 von Bronislawa Nijinska für die „Balletts Russes“ choreographisch umgesetzt worden. Die Beziehung zwischen der Vorlage und De Keersmaekers Stück könnte man mit dem Bild eines bis zum Äussersten gespannten Gummibandes visualisieren. Die beiden Enden eines solchermassen gespannten Bandes stehen im grösst möglichen Abstand zueinander. In diesem Moment, kurz vor dem Zerreissen, wo das Band der grössten Spannung ausgesetzt ist, liegt auch am meisten Kraft und ist die stärkste Anziehung auszumachen.
Dieses Spannungsverhältnis kann man auch auf die Körperarbeit der „Rosas“ übertragen, und nicht zuletzt auch auf das knapp dreistündig Stück selbst. Denn die durch eine Pause getrennten Teile könnten unterschiedlicher kaum sein. Der Blick des Zuschauers verliert sich am Anfang im Chaos der bläulich ausgeleuchteten Bühne, die verstellt ist mit Tischen und hellblauen Isolierplatten. Einige mit weissem Stoff umwickelte Stangen hängen horizontal versetzt im Raum darüber. Die Tänzer und Tänzerinnen stürmen unter lautem Rufen durch den Zuschauerraum zu einem italienischen Volkslied auf die Bühne. Bringen eine Waschmaschine, Teile eines Bettgestells, Wasser, Blumen und verschwinden damit hinter der Bühne. Damit ist das Thema der Hochzeit eingeführt und wird erst am Ende des ersten Teils, sozusagen als Vorausblick auf den zweiten, noch mal kurz aufgenommen. Der ganze erste Teil wird zur Musik des Filmemachers und Komponisten Thierry de Mey getanzt. Schon für das erste Stück der Kompanie, für „Rosas danst Rosas“ hatte Thierry De Mey die Musik komponiert. Seine Perkussions-Stück „Les Fiançailles“ ist den Elementen Wasser, Erde und Wind gewidmet und wird von den Musikern des Ictus-Ensemble life auf der Bühne gespielt. Die fünf Tänzer und acht Tänzerinnen tanzen in Hosen und Röcken in Farbabstufungen vom eisblau bis grasgrün. Allesamt haben sie nackte Oberkörper. Diese Szenerie ist kalt, gleichzeitig wirkt das alles archaisch. In der Truppe arrangieren sich immer wieder Trios und Duos, die sich mit erstaunlicher Präzision für Zeit und Raum auf der Bühne bewegen. Dauernd wird umgeräumt und Platz geschaffen. Ein dynamischer Fluss von bewegten Bildern, in dem die Tänzer und Tänzerinnen, wie verschiedenfarbige Glassplitter in einem Kaleidoskop immer wieder neue Konstellationen schaffen. Erstaunlich sind die dynamischen Beschleunigungen der Bewegungsfolgen für die De Keersmaekers Choreographien bekannt sind. Das wirkt, wie wenn man einen Film plötzlich vorspulen würde.
Diesem ersten, abstrakten Teil folgt der zweite, eher mit tanztheatralischen Mitteln operierende Teil. Jetzt gibt’s Strawinsky. Im türkisblauen Raum findet ein überdrehtes Hochzeitsfest in schwarzen Anzügen und purpurn schillernden Kleidern statt. Wild, schrill und sinnlich geht’s da zu und her. Das Stück wird immer skurriler. Ein wunderschön getanztes Duo. Der Bräutigam betrügt die Braut zu einem indischen Kinderlied, das die Schönheit der Sterne lobt. Der Raum löst sich auf. Die im ersten Teil sorgfältig zu Wänden aufgestellten Isolierplatten sind eingestürzt. Jetzt tauchen auf der Bühne nur noch einzelne Bilder auf, traumhaft und surreal. Der Bräutigam guckt im Fernsehen Fussball, zwei Tänzerinnen bauen aus den Isolierplatten einen hohen Turm, eine Tänzer und eine Tänzerin probieren Kleider. Am Schluss hängt diese, endlich in gelbem Shirt und schwarzer, kurzer Hose, an zwei Seilen im Raum. Die Schwerkraft lässt die bewegungslos in den Seilen hängende Tänzerin sachte drehen. Ein letztes, grosses, starkes und einsames Bild.

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Energie, Emotion und Geschichte

Anne Teresa de Keersmaeker begeisterte im Rahmen von "Basel tanzt" auf der Kasernenbühne mit ihrem Solo "Once". In der Choreographie tanzt sie zu den Protestsongs von Joan Baez.

Nach der Eröffnung durch Spoerlis Zürcher Ballett bot „Basel tanzt“ am Freitagabend die seltene Gelegenheit, eine der wichtigsten zeitgenössischen Choreographinnen auf der Bühne zu sehen. „Once“ nennt die Belgierin Anne Teresa De Keersmaeker ihr ungefähr eine Stunde dauerndes Solo.
Mit schnellen, bestimmten Schritten tritt die Frau auf die Bühne, schleudert ihre beigen Schuhe weg. „Once“ kündigt die Tänzerin an, bevor sie ihre Ausgangsposition sucht. Anne Teresa De Keersmaeker trägt ein schlichtes, nachtblaues Kleid, ihre dunklen Haare sind hoch gebunden. Zum Lifealbum „Joan Baez in Concert Part 2“ wird sie tanzen . 1967, dem Geburtsjahr ihrer Schwester, hört sie als Siebenjährige diese Musik zum ersten Mal. Damit wird das Persönliche der an die Musik gebundenen Kindheitserinnerungen zum Ausgangspunkt von „Once“.
Doch zunächst erklingt da noch keine Musik. Das Publikum bleibt im Saallicht sitzen. De Keersmaeker beginnt sachte, sich zu bewegen, scheint nach einer Position erst suchen zu müssen. Neigt den Kopf zur Seite, auf ihrem Gesicht beginnt ein mimisches Spiel: misstrauisch, lächelnd, unsicher, herausfordernd, nachdenklich, versunken blickt die Frau ins Publikum und sucht Kontakt mit ihrem beredtem Blick. Fällt plötzlich in sich zusammen, wie wenn ihre Wirbelsäule wegknicken würde. In dieser abrupten, äusserst reduzierten Bewegung entladet sich ein wahrer Stromstoss an Energie. Dann wieder sucht die Tänzerin nach einer Position, sinkt erneut zusammen. Wie wenn Erinnerungen vorbeiziehen würden, die es zu packen gelte mit dem Körper. Und dann eine Entscheidung: Der erste Song wird angekündigt und der Plattenspieler am linken Bühnenrand in Betrieb gesetzt. Überlaut eröffnet die Stimme von Joan Baez den ersten Song „Once I Had A Sweetheart“. Das Saallicht geht aus.
Anne Teresa de Keersmaeker pflegt einen ganz eigenen, sehr genauen Umgang der Musik. Das nun will nicht heissen, dass sie tanzend die Songtexte illustrieren würde. Vielmehr eröffnet die Tänzerin in einem sehr präzisen Timing eine Serie von sich immer wieder wiederholenden, manchmal nur wenig variierten und immer wieder abrupt unterbrochenen Bewegungssequenzen. Diese Bewegungsbilder, die sich sehr wohl auf den Inhalt der Texte beziehen lassen, sind durchsetzt mit Kommentaren und Gesten, mit Ironie, Witz und Provokation. De Keersmaekers Tanz ist packend, direkt und wirkt authentisch. Genau das Authentische aber ist bei ihr eigentlich die Inszenierung. Im Persönlichen verankert Keersmaeker Bezüge zur Welt und verleiht ihrem Schaffen eine kritische und involvierte Sichtweise. Sie serviert dennoch keine klaren Botschaften, lässt mehrfache Deutungen zu und erzählt immer eine Fülle von Geschichten. Die Schlussszenen von „Once“ verdeutlichen das besonders eindrucksvoll. Joan Baez singt die „Battle Hymn Of The Republic“, dazu werden Kriegsszenen eines alten Films projiziert. Irgendwann verschlägt es Joan Baez die Stimme, ihr „Glory, Glory Hallelujah“ erstirbt. Auf De Keersmaekers entblösstem Oberkörper projiziert sich das Kriegsgeschehen der Filmbilder weiter und ihr tanzender Schatten wird zur Figur im Film. Damit hat De Keersmaeker ausgehend vom Persönlichen einen ausdrucksstarken Bogen zur (aktuellen) Geschichte geschlagen.
De Keersmaekers Kompanie „Rosas“, die letztes Jahre ihre zwanzigjähriges Bestehen feierte, ist am Festival mit dem Stück „(but if a look should) April me“ ebenfalls zu sehen. Damit bietet sich die schöne Gelegenheit, gleich zwei Stücke dieser grossartigen Choreographin und Tänzerin zu sehen.

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Kulturtransfer im Tanz

Mit seiner Tanzperformance „Danzital“ betreibt der Choreograph und Tänzer Franz Frautschi Kulturvermittlung zwischen Bolivien und der Schweiz.

Die Fotografie zeigt ein kleines Mädchen. Das Mädchen trägt einen gestrickten, weissen, kurzärmligen Pullover. Ihre Arme hält sie über den Kopf gehoben. Zwischen den Fingern ihrer linken Hand und um den Oberkörper schlängeln sich farbige, schmale Papierbänder. Auf den ersten Blick scheint das Mädchen versunken in ein kindliches Spiel. Aber die in der Fotografie festgehaltene Geste verwandelt sich vor dem Auge des Betrachters in eine gleichsam schwebende Bewegung eines hingebungsvollen Tanzes. Auf dieser Fotografie mit der kleinen, aus Sucre in Bolivien stammenden Mariesol Anglers und ihren Papierbändern, wird in blinkenden Augenblicken ein bewegter und bewegender Tanz sichtbar.
Der Choreograf und Tänzer Franz Frautschi hat von seinem letzten Aufenthalt in Bolivien viele solcher Tanzfotografien mitgebracht. Nicht nur von der kleinen Mariesol. Auch von anderen Kindern und von den acht Tänzern und Tänzerinnen, mit denen er in Sucre, in der von ihm mitbegründeten Tanzkompanie „Bolivianza Danza“, nun schon mehrer Jahre zusammenarbeitet. Angefangen hat dieses Engagement im Jahr 2000 in Kooperation mit der Pro Helvetia. Auf seiner damaligen Tournee durch Bolivien hatte er am „Instituto para las Bellas Artes“ in Sucre einen Tanzworkshop gegeben. Aus dieser ersten Unterrichtstätigkeit ist eine regelmässige, künstlerische Zusammenarbeit geworden. Während Frautschi in der Schweiz weilt, wird die Truppe von Ana Maria de Valdivia im traditionellen Tanz unterrichtet.
Seine Tanzperformance „Danzital“, eine Wortschöpfung aus den Begriffen Danza und Rezital, ist das Ergebnis dieses Austauschs und kulturellen Transfers zwischen Bolivien und der Schweiz. Frautschi führt dort die traditionellen Tänzer und Tänzerinnen sachte zu seiner eigene Bewegunssprache des zeitgenössischen Tanzes. Umgekehrt wird er vom traditionellen Bewegungsmaterial der Volkstänze, von der südamerikanischen Musik und von der Landschaft inspiriert und entwickelt aus diesem Fundus seine eigene Bewegungssprache weiter.
„Danzital“ ist ein Reigen von 13 Tanzstücken geworden, in denen der Tänzer zu südamerikanischer Musik tanzt. Das Credo dieser Tanzperformance lautet Schlichtheit. Nur ein paar Accessoires, ein Poncho, eine Mütze oder eine Hose etwa, werden hin und wieder eingesetzt. Diese Einfachheit hat ihre Gründe. In Bolivien werde aus so wenig so viel gemacht. Nachdem er das gesehen habe, meint Frautschi, wolle er es sich nicht mehr leisten, viel Geld für aufwändige Kostüme auszugeben. Ausserdem geht es ihm darum, alles aus dem Körper selbst zu erschaffen. Körper und Emotion stehen im Zentrum seiner Arbeit. Seinen Körper versteht Frautschi als Gefäss für die Erinnerungen, Erlebnisse und Bilder, die er aus Südamerika mitbringt. Im Tanz werden sie auf die Bühne gebracht, in Bewegung übersetzt, flüssig gemacht, wie er auch meint. Erinnern bedeutet also, in sich hineinzuhören und herauszuholen, um mit dem Körper darzustellen. Dazu braucht Frautschi keine aufwändigen Kulissen. Dafür gibt es die Live-Begleitung vom Gitarristen Benjamin Bunch. Dessen Interpretationen der Werke von Heitor Villa-Lobos und anderen waren ihm von Anfang an Inspiration für „Danzital“.
In der Anordnung des Tanzprojekts nehmen die eingangs erwähnten Fotografien einen besonderen Platz ein. Frautschi versteht sie als Schnappschüsse, denen er keinen künstlerischen Wert beimessen will. Alle aber sind sie Dokumente des Tanztransfers und enthalten sie den Blick des Tänzers, der bewegte Momente festhält. Die Fotografien werden auch als Medium der Erinnerung zum Bestandteil des Tanzabends. Sie sind Stellvertreter für die Tänzer und Tänzerinnen von „Boliviana Danza“, die Frautschi, auch aus finanziellen Gründen, nicht in die Schweiz holen kann. Mit seinen Fotografien und seiner Tanzperformance schafft er in Basel eine Verbindung zu den Tänzerinnen und Tänzern von „Bolivianza Danza“ und bringt uns eine benachteiligte Kultur näher. Nach der Basler Premiere von „Danzital“ wird Frautschi sich mit „Bolivianza Danza“ auf eine Tournee durch Bolivien und Argentinien begeben.

Die Premiere von „Danzital“ fand am 16. August 2003 im Theater Scala in Basel statt, wo im Foyer auch Franz Frautschis Fotos von „Bolivianza Danza“ ausgestellt sind. Weitere Vorstellung am 22. August 2003.

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Poetik der Bewegung

Die Schwestern Anna und Susanne Huber gastieren mit ihrem „Stück mit Flügel“ an den TanztTagen Basel. Anna Hubers Tanz verselbständigt sich in einer dichten und konzentrierten Bewegungssprache.

Zwei seltsame, kleine Objekte flitzen auf dem weissen Tanzboden hin und her. Eine leuchtende Kugel und eine Faltenskulptur kreisen umeinander, nähern sich an, stecken Raum ab. Die surrenden Objekte werden von zwei Frauen mit todernster Miene ferngesteuert, die hinten in der Reithalle der Kaserne auf einem Stuhl sitzen. Dann platziert sich die Pianistin Susanne Huber hinter dem schwarzen Flügel und die Tänzerin und Choreografin Anna Huber schlüpft mit den beiden Füssen zwischen zwei Bahnen des Tanzteppichs. Klappt den Tanzteppich an einer Naht zu einem Riss auf und beginnt sich zu den elektronischen Sounds von Martin Schütz sachte um die eigene Achse zu drehen. Bedächtig schraubt sich die Tänzerin der Naht entlang weiter. Scheint sanfte Spuren zu legen. Das Bild einer Schneelandschaft huscht vor den Augen vorbei. Wellen und Hügel entstehen als die Tänzerin den Tanzteppich mit den Füssen umfalzt und sich auf dem Falz in der Tanzteppichnaht weiter in die Mitte der Bühne bewegt.

Das „Stück mit Flügel“ entfaltet sich zur life gespielten Musik der Komponisten György Kurtág, György Ligeti und Franz Liszt . Die elektronischen Sounds haben ihr Eigenleben und funken auch mal ins Klavierspiel von Susanne Huber Genauso setzt diese mit einem Akkord nachdrücklich einen Punkt und erntet damit einen erstaunten Blick ihrer Schwester. Musik und Tanz treten in einen Dialog, Tänzerin und Musikerin hecken mit eiskalter Miene immer wieder neue, überraschende Klangräume und bizarre Bewegungslandschaften aus. Tanz ist bei Anna Huber, dies auch im Kontrast zu den übrigen Stücken des Programms der TanzTage Basel, nicht Medium des Kommentars, ihre Bewegungen sind nicht zuerst tänzerisches Umsetzen, Umfassen oder Realisieren eines Aussenbezugs, einer wie auch immer geformten Welt. Vielmehr bleibt der Kontext abstrakt, mehrfach konnotier- und deutbar. Anna Huber geht von der Bewegung aus, es geht es nicht darum, den tänzerischen Ausdruck für eine Erzählung zu finden. Die Bewegung selbst, die Suche des eigenen tänzerischen Vokabulars rückt ins Zentrum. Das ist wie ein selbstreferentieller Text, der sich selbst seine eigene Welt erschreibt. Das Erfinden einer Bewegungssprache, das Experimentieren damit und das Entwerfen einer eigenen Logik, die sowohl Zeitlichkeit wie Räumlichkeit der Bewegungen erfasst. Erst im Betrachten wird dieser Tanztext zum Bild einer allfälligen Erscheinung in der Welt, von skurrilen Insekten etwa.

So spielt der Titel „Stück mit Flügel“ nicht nur auf den Flügel als Instrument an, sondern bezieht sich auch auf die Flügel jener Wesen, die da immer wieder loszuflattern scheinen. Anna Huber ist auch eine Künstlerin der Metamorphosen. In einer Art Häutung schält sie sich drehend aus der dicken Daunenjacke, die sie am Anfang trägt. Immer schneller dreht sie sich zuerst um die eigene Achse, dann schlüpft sie aus den Ärmeln und plötzlich drehen sich Jacke und Körper scheinbar gleichzeitig in entgegengesetzte Richtungen. Ein grotesk verdrehter Körper, der um die eigene Achse wirbelt. Die Jacke bleibt als leere Hülle auf dem Boden liegen. Überhaupt schafft die Tänzerin mit gegenläufigen Bewegungen seltsam fragmentierte Körperbilder. Linker Arm und linkes Bein schwingen gleichzeitig gegeneinander und dann beginnt der rechte Arm dazu sein Eigenleben. Anna Hubers Körper scheint sich in verschiedene Teile im Raum aufzulösen. Das sieht manchmal aus, wie wenn sie ihren Körper immer wieder neu zusammensetzen müsste, wie wenn sie sich der Fernsteuerung durch die Musik entziehen müsste auch. Zur Konzentration auf die Bewegung passt die Gestaltung des Bühnenraums. Requisiten existieren, abgesehen von den zwei Objekten nicht. Gearbeitet wird mit dem, was der vorhandene Raum bietet. Mit dem Bändern des Tanzbodens, die Anna Huber wahlweise in Schneelandschaften, Skulpturen, Kokons und Schleppen verwandelt. Dann ist da natürlich der Flügel und die Lichtgestaltung von Thilo Reuther. Der Raum, auf dem getanzt wird ist durch den weissen Tanzteppich markiert. Die Reithalle selbst wird so zum Ort, den das „Stück mit Flügel“ zum Bühnenraum aufbricht und verwandelt. Was Spiel und Tanz des Duos Anna und Susanne Huber hier eröffnen sind Erkundungen einer Sprache des zeitgenössischen Tanzes. Anna Huber, die Trägerin des diesjährigen Reinhart-Rings, entpuppt sich als Bewegunspoetin.

Copyright (c) 2002 by Jana Ulmann, Switzerland.

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