Passagen
Montag, 15. September 2003
Energie, Emotion und Geschichte

Anne Teresa de Keersmaeker begeisterte im Rahmen von "Basel tanzt" auf der Kasernenbühne mit ihrem Solo "Once". In der Choreographie tanzt sie zu den Protestsongs von Joan Baez.

Nach der Eröffnung durch Spoerlis Zürcher Ballett bot „Basel tanzt“ am Freitagabend die seltene Gelegenheit, eine der wichtigsten zeitgenössischen Choreographinnen auf der Bühne zu sehen. „Once“ nennt die Belgierin Anne Teresa De Keersmaeker ihr ungefähr eine Stunde dauerndes Solo.
Mit schnellen, bestimmten Schritten tritt die Frau auf die Bühne, schleudert ihre beigen Schuhe weg. „Once“ kündigt die Tänzerin an, bevor sie ihre Ausgangsposition sucht. Anne Teresa De Keersmaeker trägt ein schlichtes, nachtblaues Kleid, ihre dunklen Haare sind hoch gebunden. Zum Lifealbum „Joan Baez in Concert Part 2“ wird sie tanzen . 1967, dem Geburtsjahr ihrer Schwester, hört sie als Siebenjährige diese Musik zum ersten Mal. Damit wird das Persönliche der an die Musik gebundenen Kindheitserinnerungen zum Ausgangspunkt von „Once“.
Doch zunächst erklingt da noch keine Musik. Das Publikum bleibt im Saallicht sitzen. De Keersmaeker beginnt sachte, sich zu bewegen, scheint nach einer Position erst suchen zu müssen. Neigt den Kopf zur Seite, auf ihrem Gesicht beginnt ein mimisches Spiel: misstrauisch, lächelnd, unsicher, herausfordernd, nachdenklich, versunken blickt die Frau ins Publikum und sucht Kontakt mit ihrem beredtem Blick. Fällt plötzlich in sich zusammen, wie wenn ihre Wirbelsäule wegknicken würde. In dieser abrupten, äusserst reduzierten Bewegung entladet sich ein wahrer Stromstoss an Energie. Dann wieder sucht die Tänzerin nach einer Position, sinkt erneut zusammen. Wie wenn Erinnerungen vorbeiziehen würden, die es zu packen gelte mit dem Körper. Und dann eine Entscheidung: Der erste Song wird angekündigt und der Plattenspieler am linken Bühnenrand in Betrieb gesetzt. Überlaut eröffnet die Stimme von Joan Baez den ersten Song „Once I Had A Sweetheart“. Das Saallicht geht aus.
Anne Teresa de Keersmaeker pflegt einen ganz eigenen, sehr genauen Umgang der Musik. Das nun will nicht heissen, dass sie tanzend die Songtexte illustrieren würde. Vielmehr eröffnet die Tänzerin in einem sehr präzisen Timing eine Serie von sich immer wieder wiederholenden, manchmal nur wenig variierten und immer wieder abrupt unterbrochenen Bewegungssequenzen. Diese Bewegungsbilder, die sich sehr wohl auf den Inhalt der Texte beziehen lassen, sind durchsetzt mit Kommentaren und Gesten, mit Ironie, Witz und Provokation. De Keersmaekers Tanz ist packend, direkt und wirkt authentisch. Genau das Authentische aber ist bei ihr eigentlich die Inszenierung. Im Persönlichen verankert Keersmaeker Bezüge zur Welt und verleiht ihrem Schaffen eine kritische und involvierte Sichtweise. Sie serviert dennoch keine klaren Botschaften, lässt mehrfache Deutungen zu und erzählt immer eine Fülle von Geschichten. Die Schlussszenen von „Once“ verdeutlichen das besonders eindrucksvoll. Joan Baez singt die „Battle Hymn Of The Republic“, dazu werden Kriegsszenen eines alten Films projiziert. Irgendwann verschlägt es Joan Baez die Stimme, ihr „Glory, Glory Hallelujah“ erstirbt. Auf De Keersmaekers entblösstem Oberkörper projiziert sich das Kriegsgeschehen der Filmbilder weiter und ihr tanzender Schatten wird zur Figur im Film. Damit hat De Keersmaeker ausgehend vom Persönlichen einen ausdrucksstarken Bogen zur (aktuellen) Geschichte geschlagen.
De Keersmaekers Kompanie „Rosas“, die letztes Jahre ihre zwanzigjähriges Bestehen feierte, ist am Festival mit dem Stück „(but if a look should) April me“ ebenfalls zu sehen. Damit bietet sich die schöne Gelegenheit, gleich zwei Stücke dieser grossartigen Choreographin und Tänzerin zu sehen.

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