Passagen
Mittwoch, 20. August 2003
Kulturtransfer im Tanz

Mit seiner Tanzperformance „Danzital“ betreibt der Choreograph und Tänzer Franz Frautschi Kulturvermittlung zwischen Bolivien und der Schweiz.

Die Fotografie zeigt ein kleines Mädchen. Das Mädchen trägt einen gestrickten, weissen, kurzärmligen Pullover. Ihre Arme hält sie über den Kopf gehoben. Zwischen den Fingern ihrer linken Hand und um den Oberkörper schlängeln sich farbige, schmale Papierbänder. Auf den ersten Blick scheint das Mädchen versunken in ein kindliches Spiel. Aber die in der Fotografie festgehaltene Geste verwandelt sich vor dem Auge des Betrachters in eine gleichsam schwebende Bewegung eines hingebungsvollen Tanzes. Auf dieser Fotografie mit der kleinen, aus Sucre in Bolivien stammenden Mariesol Anglers und ihren Papierbändern, wird in blinkenden Augenblicken ein bewegter und bewegender Tanz sichtbar.
Der Choreograf und Tänzer Franz Frautschi hat von seinem letzten Aufenthalt in Bolivien viele solcher Tanzfotografien mitgebracht. Nicht nur von der kleinen Mariesol. Auch von anderen Kindern und von den acht Tänzern und Tänzerinnen, mit denen er in Sucre, in der von ihm mitbegründeten Tanzkompanie „Bolivianza Danza“, nun schon mehrer Jahre zusammenarbeitet. Angefangen hat dieses Engagement im Jahr 2000 in Kooperation mit der Pro Helvetia. Auf seiner damaligen Tournee durch Bolivien hatte er am „Instituto para las Bellas Artes“ in Sucre einen Tanzworkshop gegeben. Aus dieser ersten Unterrichtstätigkeit ist eine regelmässige, künstlerische Zusammenarbeit geworden. Während Frautschi in der Schweiz weilt, wird die Truppe von Ana Maria de Valdivia im traditionellen Tanz unterrichtet.
Seine Tanzperformance „Danzital“, eine Wortschöpfung aus den Begriffen Danza und Rezital, ist das Ergebnis dieses Austauschs und kulturellen Transfers zwischen Bolivien und der Schweiz. Frautschi führt dort die traditionellen Tänzer und Tänzerinnen sachte zu seiner eigene Bewegunssprache des zeitgenössischen Tanzes. Umgekehrt wird er vom traditionellen Bewegungsmaterial der Volkstänze, von der südamerikanischen Musik und von der Landschaft inspiriert und entwickelt aus diesem Fundus seine eigene Bewegungssprache weiter.
„Danzital“ ist ein Reigen von 13 Tanzstücken geworden, in denen der Tänzer zu südamerikanischer Musik tanzt. Das Credo dieser Tanzperformance lautet Schlichtheit. Nur ein paar Accessoires, ein Poncho, eine Mütze oder eine Hose etwa, werden hin und wieder eingesetzt. Diese Einfachheit hat ihre Gründe. In Bolivien werde aus so wenig so viel gemacht. Nachdem er das gesehen habe, meint Frautschi, wolle er es sich nicht mehr leisten, viel Geld für aufwändige Kostüme auszugeben. Ausserdem geht es ihm darum, alles aus dem Körper selbst zu erschaffen. Körper und Emotion stehen im Zentrum seiner Arbeit. Seinen Körper versteht Frautschi als Gefäss für die Erinnerungen, Erlebnisse und Bilder, die er aus Südamerika mitbringt. Im Tanz werden sie auf die Bühne gebracht, in Bewegung übersetzt, flüssig gemacht, wie er auch meint. Erinnern bedeutet also, in sich hineinzuhören und herauszuholen, um mit dem Körper darzustellen. Dazu braucht Frautschi keine aufwändigen Kulissen. Dafür gibt es die Live-Begleitung vom Gitarristen Benjamin Bunch. Dessen Interpretationen der Werke von Heitor Villa-Lobos und anderen waren ihm von Anfang an Inspiration für „Danzital“.
In der Anordnung des Tanzprojekts nehmen die eingangs erwähnten Fotografien einen besonderen Platz ein. Frautschi versteht sie als Schnappschüsse, denen er keinen künstlerischen Wert beimessen will. Alle aber sind sie Dokumente des Tanztransfers und enthalten sie den Blick des Tänzers, der bewegte Momente festhält. Die Fotografien werden auch als Medium der Erinnerung zum Bestandteil des Tanzabends. Sie sind Stellvertreter für die Tänzer und Tänzerinnen von „Boliviana Danza“, die Frautschi, auch aus finanziellen Gründen, nicht in die Schweiz holen kann. Mit seinen Fotografien und seiner Tanzperformance schafft er in Basel eine Verbindung zu den Tänzerinnen und Tänzern von „Bolivianza Danza“ und bringt uns eine benachteiligte Kultur näher. Nach der Basler Premiere von „Danzital“ wird Frautschi sich mit „Bolivianza Danza“ auf eine Tournee durch Bolivien und Argentinien begeben.

Die Premiere von „Danzital“ fand am 16. August 2003 im Theater Scala in Basel statt, wo im Foyer auch Franz Frautschis Fotos von „Bolivianza Danza“ ausgestellt sind. Weitere Vorstellung am 22. August 2003.

©Copyright 2003 by Jana Ulmann. All rights reserved.

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