Passagen
Montag, 30. Juni 2003
Die Leselust kitzeln

Der erste Tag der BuchBasel und des Literaturfestivals ist erfolgreich angelaufen. Neues Futter für die Leselust dürfte da für jeden Geschmack zu finden sein.

Kulisse für das Autorenforum in der Halle drei der Messe Basel, dem „pochenden Herz des Literaturfestivals“, wie es im Magazin zur BuchBasel 2003 heisst, bildet ein überdimensioniertes Buch. Aufgeschlagen finden sich da die Seiten 32 und 33 eines Essays der dänischen Autorin Inger Christensen. Der erste Satz lautet: „Seide ist ein Substantiv.“ Mit diesem Text hat man das Literaturfestival Basel in eine wunderbare Szenerie eingebettet. Schliesslich ist die Seide ein Stoff, eine Textur und also eine prominent verhandelte Textmetapher, der sich's auch in anderen Büchern nachspüren lässt. Zum Beispiel in Roland Barthes „Die Lust am Text“ oder in W. G. Sebalds „Die Ringe des Saturn“.
Der Welt der Bücher jedenfalls und das Universum der Literatur stehen in der Messe Basel für die nächsten drei Tage im Zentrum. Im Autorenforum sollen Vernetzungen sichtbar und Begegnungen hörbar gemacht werden. Hier will man neue literarische Räume über die Sprachgrenzen hinweg eröffnen. So erklärt Verena Stössinger von der Organisation in ihrer kurzen Ansprache zur Eröffnung des Programms. Deshalb auch der methodische Verzicht auf Einzellesungen zugunsten von Gesprächen, an denen immer mehrere Autoren und Autorinnen gleichzeitig ihre Werke vorstellen und besprechen.
Es gibt einen Autor, dessen Name an diesem ersten Tag immer wieder fällt: Robert Walser. Unlängst hat man seinen 125. Geburtstag gefeiert. Bernhard Echte, einer der Entzifferer von Robert Walsers Mikrogramm-Texten, vermittelt im Gespräch mit der Radio-Journalistin Christina Omlin Einblicke in seine Arbeit und die faszinierenden Textwelten Robert Walsers. In der Lesung „Ferne Verwandte“ liest der Autor Jürg Ammann, der eine Robert-Walser-Biographie verfasst hat. Die Texte von Walser stehen wieder zur Debatte und werden konfrontiert mit jenen Hermann Burgers, zu dem die Autorin Claudia Storz gearbeitet hat, die hier ebenfalls ihre Texte präsentiert. „Ferne Verwandte“ bezieht sich in diesem Fall auf die literarischen Vorbilder der Schweizer Literatur und meint die Schriftsteller aus der selben Generation, wie Claudia Storz und Jürg Ammann sie darstellen.
Am Nachmittag steht polnische Literatur auf dem Programm. Sabine Grimkowski moderiert die Lesung über neue Literatur in Polen. Die Autorin Natasza Goerke liest einen kurzen Ausschnitt aus ihrem neusten Band mit Erzählungen. Das ist eine witziger, sprühender Text über einen „Versager“, wie die Autorin selbst kommentiert. Der Autor Marek Lawrynowicz liest aus seinem Roman „Der Teufel auf dem Kirchturm“. Dieser Text, eine Art Schelmenroman, umfasst Jahrzehnte polnischer Geschichte: Die Handlung reicht vom ersten Weltkrieg bis in die fünfziger Jahre. Beide Texte stammen von der Generation der neuen Literaten in Polen. Deren Charakterisierung fällt den beiden Autoren und der Übersetzerin Renate Schmidgall im Gespräch allerdings noch schwer. Was sich seit dem Zusammenbruch des Real-Sozialismus in der polnischen Literatur faktisch verändert hat, scheint nicht ganz einfach zusammenfassbar zu sein. Es viel ist, darin sind sich Natasza Goerke und Marek Lawrynowicz einig. Die Texte seien leichter geworden. Der Wegfall der Zensur spiele eine wichtige Rolle, meint Marek Lawrynowicz. Wenn die Unterschiedlichkeit der beiden gelesenen Texte ein Bild der polnischen Literaturszene bietet, dann lässt sich daraus immerhin eine bunte Vielfalt ableiten. Eine Vielfalt von qualitativ sehr hochstehenden Texten, auch wenn damit noch keine Bestsellerlisten gestürmt werden. Eines jedenfalls ist klar: literarische Neuentdeckungen lassen sich hier machen.

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