Passagen
Montag, 15. Mai 2006
Tanzen mit allen Sinnen

Die aus Tel Aviv stammende Batsheva Dance Company zeigt eine herausragende Vorstellung: Die Tänzer und Tänzerinnen begeistern mit der Präzision ihrer Bewegungen und der Individualität gleichermassen.

BASEL. Die Batsheva Dance Company aus Tel Aviv ist gleich mit drei Stücken ans steps #10 Festival gereist. In der Kaserne zeigt die Company, die aus siebzehn Tänzern und Tänzerinnen besteht, den dreiteiligen Abend «Three: Botschaften über die Sinnlichkeit». In anderen Schweizer Städten werden auch die Stücke «Mamootot» und «Deca Dance» aufgeführt. Die Company wurde 1964 von Martha Graham und der Baronin Batsheva De Rothschild in New York gegründet. Ihr Kopf ist seit nunmehr zehn Jahren der dreiundfünfzigjährige Choreograf Ohad Naharin. «Deca Dance» entstand anlässlich seines zehnjährigen Bühnenjubiläums als künstlerischer Leiter von Batsheva.
Die Company ist international besetzt. Die Tänzer und Tänzerinnen entwickeln auf der Bühne mit ihren aufeinander abgestimmten Bewegungen eine vibrierende Kraft und eine betörende Energie. Gleichzeitig wird ihre individuelle Persönlichkeit immer wieder ins Spiel gebracht, denn Ohad Naharin arbeitet bei der Entwicklung der Stücke mit den Mitgliedern der Company zusammen. Vor drei Jahren hat er mit «Gaga» eine Methode eingeführt, die die eigenen Bewegungswelten der Tanzenden fördert. Dabei wird nicht in erster Linie die technische Ausgefeiltheit der Bewegungen fokussiert, sondern, ähnlich wie auch bei der Alexandertechnik, die bewusste Entscheidung für die Art der Bewegungsausführung, ihre Effektivität und die Umsetzung der Vorstellung einer Bewegung gefördert.
Die drei Stücke, «Bellus», «Humus» und «Secus», aus denen der rund eine Stunde dauernde Tanzabend «Three: Botschaften über die Sinnlichkeit» zusammen gesetzt ist, werden zu völlig unterschiedlichen Musikstilen getanzt. Alle Teile beginnen aus der Ruhe: Die Tänzer und Tänzerinnen sind auf der Bühne verteilt und blicken ins Publikum. Dabei entsteht im Raum eine knisternde Spannung, die die Company im Lauf des Abends stetig steigert. Aus der Ruhe führt ein plötzlicher Impuls in die Bewegung, die Tänzer und Tänzerinnen treten durch die Lücken in den dunkelgrauen, hohen Bühnenelementen ab, die die Bühne umschliessen oder formieren sich neu.
Mit «Bellus» wird der Abend zur Interpretation der Goldberg-Variationen von Glen Gould eröffnet. Hier wird mathematische Bauweise von J.S. Bachs Komposition in Choreografie übersetzt. Ein Tänzer beginnt alleine auf der Bühne, eine Tänzerin tritt auf, wartet ruhig in ihrer Position bis er seine Bewegungen zu Ende geführt hat und abgeht, um dann selbst mit ihrem Tanz einzusetzen. Das geht so weiter bis die Einzelpersonen sich zu Duos und kleinen Gruppen fügen, die sich immer wieder neu finden und in die Bewegungen des Anderen einsetzen, ohne sich ins «Wort zu fallen», sondern sich ergänzend. Die Komplexität des Stücks erfordert im Timing eine enorme Konzentration, die Company agiert präzis und virtuos. Die Bewegungen sind fliessend und wunderschön, ohne gefällig zu sein, manchmal mit wunderbar skurrilen Sprüngen und Bewegungsfolgen.
Dass es Ohad Nahadin mit «Three» auch um eine getanzte Reflexion über den Tanz selbst geht wird in den Übergängen zwischen den drei Teilen klar. Ein Tänzer erscheint mit einem Fernseher unter dem Arm. Darin ist nur gerade der Kopf eines fast gleich aussehenden Mannes zu sehen, der das nun folgende Stück vorstellt. Im zweiten Stück «Humus» liefern sich neun Tänzerinnen einen sinnlichen Reigen, ein verführerisches Bewegungsspiel zu Musik von Brian Eno. Im letzten Teil «Secus» schliesslich stehen nach einer weiteren Fernseh-Ansage alle siebzehn Tänzer und Tänzerinnen der Company auf der Bühne. Auch hier verblüffte die perfekte Tanztechnik der Company. Die Bewegungen aber bilden am Schluss, nach einem ironischen Pas de Deux zwischen zwei Männern, einen bitterbösen Kommentar, wenn die Tänzer und Tänzerinnen, in drei Reihen auf der Bühne verteilt, einzeln antreten, um nun gegen das Publikum gewendet kurze, knappe Bewegungssequenzen vorzuzeigen. Diese gestischen Kommentare werden immer ausfälliger, das Publikum wird zum Spanner in dieser stark getanzten, exhibitionistischen Darstellung, in der, wie auf dem Exerzierplatz, die Körper sich zu trimmen und auszustellen haben. Die Leistungen der Company an diesem einmaligen Tanzabend wurden vom Publikum mit minutenlangen Standing Ovations belohnt.

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