Passagen
Sonntag, 17. April 2005
Die Generation X erinnert sich

Die Gisela Rocha Company eröffnet mit ihrem Stück «re mind» die TanzTage Basel 05 und setzt mit einer furiosen Collage aus Tanz, Text und Musik ein nachdrückliches Statement.


Die Gisela Rocha Company wurde 1999 gegründet und gehört unterdessen zu den renommiertesten, in der Schweiz arbeitenden Tanzkompanien. Erfolge feiert die ursprünglich aus Brasilien stammende Gisela Rocha aber nicht nur hier zu Lande, sondern auch als Gastchoreografin im Ausland. So hat sie etwa für Martin Schläpfers Ballett Mainz Ende 2003 das Stück «Auszeit» geschaffen und nächstes Jahr wird sie für die holländische Ballett-Kompanie «Introdans» choreografieren. Jetzt hat die Gisela Rocha Company mit dem 2004 im Theaterhaus Gessnerallee uraufgeführten Stück «re mind» in der Kaserne die TanzTage Basel 05 eröffnet.
Gisela Rocha ortet in dieser Choreographie als Erinnerungsträger die Musik. Das Anagramm «re wind» aus dem Titel «re mind» kann also direkt mitgelesen werden, denn in diesem Stück spult die Musik die Erinnerung zurück. Anstatt dabei nun in rührselige Nostalgie zu verfallen, seziert Gisela Rocha den musikalischen Erinnerungsschatz ihrer eigenen Generation mit gnadenlosem Blick und macht in den Stars aus der Jugendzeit substanzlose Vorbilder aus.
Der Autor und Musiker Raphael Urweider hat für das Stück eine Musik- und Textcollage geschaffen, die das Geschehen auf der Bühne in einem schnellen Ablauf von Einzelszenen diktiert. Die Musikkompositionen Urweiders vermischen sich mit Hitparadenstürmern und altbekannten Melodien. Die Funktionsweisen des Gedächtnisses selbst widerspiegelnd versagt Rocha dabei auch dem Publikum ein allzu ausschweifendes Eintauchen in die Musik. Vielmehr ergibt sich das Stück dem Diktat der Musik, hangelt sich von Musikfetzen zu Musikfetzen und durchläuft im Eiltempo und völlig unlinear in getanzten und gesprochenen Bildern Szenen aus Kindheit und Jugend: Die Seil hüpfende Tänzerin mit den Pferdeschwänzen und dem weissen Mädchenkleid holt zur Raserei aus und der spielerische Fechtkampf zwischen zwei Tänzern endet im todernsten Zweikampf.
Gisela Rocha hat in diesem Stück mit sechs Darstellerinnen (Caroline Lam und Kotomi Nishiwaki) und Darstellern (Corsin Gaudenz, Dominique Jann, Dosmas Kosmopoulos, Luis Filipe Venâncio) gearbeitet. Ebenso wie die beiden Schauspieler tanzen, sprechen und singen die Tänzerinnen und Tänzer. Die Sprengsel der gesprochener Songtexte kippen als Lebensphilosophien ohne Inhalt ins Leere. Das genau aber ist der Blick, den Rocha auf die Generation X wirft und mit dem sie ein gestochen scharfes Bild einer in der Perspektivennot versinkenden Zeit in ein Tanzstück verpackt hat: Zur Not dreht man Filme, macht Yoga oder lümmelt sich in Turnschuhen und Bikini auf der Street Parade. Da können sich die Leichen zu Bergen türmen, Hauptsache die Show stimmt: «Fly me to the moon» singt Frank Sinatra.
Rocha operiert in «re mind» nicht nur mit zitierten Musiksprengeln, sondern sie integriert auch die Disco-Tanzmoden in ihre eigene exzessive Bewegungssprache. Die Tänzer und Tänzerinnen fallen zu Boden, rollen darüber, verrückte Hebefiguren lösen furiose Bewegungssequenzen und Körperausbrüche ab. Das alles kommt in einer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit daher, wie nur grossartige Tänzer und Tänzerinnen sie hinkriegen Aus dem Rauschen der Soundcollage kristallisieren sich so immer wieder nachdrückliche Bilder. Zwar kann man keine Nostalgie ausmachen in diesem Stück aber eine melancholische Grundstimmung geht mit dem Aberwitz der Szenen einher: Völlig zugedröhnt schwankt eine Frau über die Bühne. Mehr sprechend als singend lallt sie «Besame Mucho» und beginnt, sich ihre Kleider auszuziehen. Ein Mann fängt die Schwankende auf, die sich mit einem Lachanfall in seinen Armen windet, sich weiter auszieht, aber nicht daran denkt, sich wirklich küssen zu lassen. Mit solch starken Szenen und Bildern hakt sich das Stück im Kopf der Zuschauer ein. Rocha scheint es nicht einfach nur um den Prozess des Erinnerns zu gehen, vielmehr nutzt sie das Erinnern als Vehikel, um der Zeit ihre eigene Fussnote zu verpassen. Das macht sie in «re mind» genauso gnadenlos wie lustvoll, mit Witz und Poesie aber auch mit dem knallharten Einsatz der Körper ihrer Tänzer und Tänzerinnen.

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Last modified: 24.09.09, 22:25
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