Passagen
Donnerstag, 9. Oktober 2003
Die Orientsehnsucht auf der Spitze

Der Ballettstar Vladimir Malakhov und sein Ballett der Deutschen Staatsoper Berlin beendeten mit einem aufwändigen Spektakel das Festival "basel tanzt".

Heinz Spoerli verstand es auch in der diesjährigen Ausgabe von „basel tanzt“, jedem Tanzgeschmack Köstlichkeiten zu servieren. Als Schlussbouquet des Tanz-Spektakels zeigten am vergangenen Wochenende im Musical Theater Vladimir Malakhov und sein traditionsreiches Ballett der Deutschen Staatsoper Berlin „Die Bajadere“. Damit hatte man das Festival nicht nur mit klassischem Tanz eröffnet, sondern beendete es, nach kontrastreichen Zwischenspielen, auch wieder mit klassischem Ballett. Die Aufführung des Handlungsballetts ist ein Rückgriff in die Ballettgeschichte, denn „Die Bajadere“ wurde in der Choreographie von Marius Petipa zur Musik von Ludwig Minkus in St. Petersburg 1877 uraufgeführt. Der Startänzer und Ballettdirektor Vladimir Malakhov hat seine Variante der Bajadere nach Petipas Choreographie gestaltet, wobei er den verlorenen letzten Akt gänzlich neu choreographiert hat. Unterdessen wurde Malakhovs Neuinszenierung aus dem Jahr 1999 seltsamerweise vom Zeitgeist eingeholt. Denn kein anderes Ballett verdankt sich so sehr der romantischen Orientsehnsucht des 19. Jahrhunderts wie eben „die Bajadere“. Und schliesslich ist auch uns mit den politischen Geschehnissen der letzten Monate der Orient wieder näher ins Bewusstsein gerückt. Noch während die Alliierten Bombenangriffe gegen den Irak flogen, hat das Orient-Fieber westliche Mode und westlichen Lifestyle ergriffen.
Solchen Gedanken aber brauchte sich ein Zuschauer, der sich „die Bajadere“ am vergangenen Wochenende zu Gemüte führte, nicht hinzugeben. Denn Malakhov und seine Truppe verzauberten ihr Publikum mit feinstem Ballett, prunkvollen und farbenprächtigen Kostümen und aufwändigem Bühnenbild. Die Geschichte von der indischen Tempeltänzerin Nikia und ihrem Liebsten, dem Krieger Solor, der die Tochter des Radscha heiraten soll, wurde vor der Kulisse eines elefantengeschmückten Palastes inszeniert.
So richtig auf Touren kam das Stück allerdings erst nach der Pause. Da gibt es die grossen Solisten-Parts und die gewaltigen Ensemble-Einsätze. Dieser zweite Teil schrieb gleichsam Ballettgeschichte mit jener Traumszene, in der 32 weissgewandete Bajaderen als Schatten im Tutu Arabesque um Arabesque im Zickzack eine Rampe herunter tanzen. Es ist, wie wenn man in seinem eigenen Traum sitzen würde, wenn sich die Bühne so langsam und schwebend füllt. Wie Solor zwischen den beiden Frauen hin- und hergerissen wird, wie ihn der Schatten Nikias, die durch eine Intrige umgekommen ist, von der Heirat mit der Tochter des Radschas Hamsatti abzuhalten sucht, auch das ist kraftvoll inszeniert. Da begeistert Vladimir Malakhov als Solor mit seinen so mühelos wirkenden Sprüngen während Diana Vishneva als Nikia und Beatrice Knop als Hamsatti mit ihrer schwebenden, spitzengetanzten Leichtigkeit und Luftigkeit dem Publikum den Atem rauben. Am Schluss ist es wie so oft: die Liebenden finden sich erst im Tod, nachdem die Tempelmauern eingestürzt sind. Am besten gefallen an diesem Ballettabend haben die Schattenszenen. Nicht nur, weil das wunderschön getanzt war, sondern vor allem, weil sich darin die narrative Kraft, die Ballett haben kann, aufs Eindrücklichste offenbart hat.

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