Schlichte Schönheit reicher Armut
Der Tänzer und Choreograf Franz Frautschi weckt mit einer reduzierten Inszenierung bewegte Gefühlslandschaften und schafft Annäherungen an eine andere Kultur. Franz Frautschi braucht keine pompöse Staffage, um seine Tanzperformance „Danzital“ auf die Bühne zu bringen. Dennoch ist es viel, was man im Theater Scala von dem Choreografen und Tänzer zu sehen und zu hören kriegt: so schlicht und reduziert „Danzital“ daherkommt, so viel Bewegtes und Bewegendes ist darin gleichsam auszumachen.
Die Schlichtheit entspricht dem Konzept dieses Abends, der im Zusammenhang mit einem Engagement in Sucre, Bolivien entstanden ist. Dort arbeitet Franz Frautschi seit drei Jahren regelmässig mit „Bolivianza Danza“ zusammen, einer Gruppe von Tanzstudenten und -Studentinnen der „Universidad Pedagógica Nacional Mariscal Sucre, Carrera de Bellas Artes“. Frautschi bringt dort mit seiner eigenen Bewegungssprache den Tänzern und Tänzerinnen Impulse, die sich mit den traditionellen Volkstänzen auseinander setzen. Umgekehrt haben diese Begegnungen auch ihn und seine Arbeit beeinflusst und inspiriert. Ab Ende August wird er mit der Truppe mit einem eigenen Programm in Bolivien und Argentinien auf Tournee sein. Zuvor aber zeigt er jetzt in Basel ein Tanzstück, das aus den Erfahrungen, Reisebildern und aus den Begegnungen mit der südamerikanischen Kultur und ihren Menschen schöpft.
Fotografien der Tänzer und Tänzerinnen von „Bolivianza Danza“, die Frautschi von seinen Reisen mitgebracht hat und nun im Foyer vom Scala ausgestellt sind, bilden den Rahmen von „Danzital“ und stimmen auf Frautschis Tanzperformance ein. Es sind Bilder der Tanzstudenten und -Studentinnen beim gemeinsamen Tanz. Aufnahmen sind es, die eine grosse Lebensfreude und Hingabe an den Tanz wiederspiegeln und allesamt eine grosse Bewegtheit enthalten. Vor allem vor den Fotografien, die ein kleines Mädchen beim versunkenen Tanz zeigen, verharrt man staunend. Die Menschen auf den Fotografien begleiten den Zuschauer in den Theaterraum. Und wenn Frautschi seine Tanzperformance beginnt, scheinen sie sich wie imaginäre Tanzpartner und –Partnerinnen zu ihm auf die Bühne zu gesellen.
13 Musikstücke umfasst „Danzital“. Neun davon, Kompositionen von Heitor Villa-Lobos, Oscar Lorenzo Fernandez und Abel Carlevaro, werden vom Gitarristen Benjamin Bunch virtuos live vorgetragen. Vier Stücke mit Gesang von Mercedes Sosa und Omara Portuondo werden ab Band eingespielt. Der Tänzer verbindet die 13 einzelnen Stücke zu einem poetischen Reigen. Vier kurze Texte, von Franz Frautschi selbst geschrieben, ergänzen den Tanz. Es sind einfache Worte zu den elementaren Dingen des Lebens. Gelesen werden die Texte übrigens von Joseph Caba, einem jungen bolivianischen Tänzer, der dank Franz Frautschis Initiative zur Zeit im Tanzensemble von Cathy Sharp eine Stage macht.
Schon der erste eingeschobene Text „Reiche Armut“ scheint das Programm von „Danzital“ zu enthalten. Wenn hier davon die Rede ist, dass Emotionen, innere Bilder und der eigene Körper das Leben reich machen, dann entspringt das einerseits den Erfahrungen im Umgang mit einer Gesellschaft, der es an den notwendigsten materiellen Gütern fehlt. Andererseits benennt Frautschi damit jene Quellen seines Tanzes, die er auf der Bühne immer sichtbar zu machen sucht. Wenn also zwei grobe Ponchos, ein langer, schwarzer Jupe, eine braune Wollmütze und eine lange, farbig geringelte Zipfelmütze als Accessoires reichen, so finden sich in Franz Frautschis schlichter und präziser Körpersprache dennoch ganze Gefühlslandschaften und Lebensbilder konzentriert, die im Tanz vor unseren Augen auf der Bühne lebendig werden. Zu einem Stück von Mercedes Sosa etwa bleibt der Tänzer einfach am Boden liegen. Die Bewegungen beschränken sich auf seine beiden Hände, die zu zwei sich umkreisenden Figuren werden. Um die Anklänge an den traditionellen südamerikanischen Tanz sichtbar zu machen, reicht schon eine Andeutung: in einer speziellen Bewegung des Armes, einem Rhythmuswechsel, einem kurzen Stampfen blitzt auf, woraus Frautschis Tanz hier schöpft. Es sind nicht zuletzt auch die wunderbare Sorgfalt, die konzentrierte Hingabe und die Dankbarkeit gegenüber einer „fremden“ Kultur, die in „Danzital“ zum Ausdruck kommen und dieses Projekt so wertvoll und sehenswert machen.
©Copyright 2003 by Jana Ulmann. All rights reserved.
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Kulturtransfer im Tanz
Mit seiner Tanzperformance „Danzital“ betreibt der Choreograph und Tänzer Franz Frautschi Kulturvermittlung zwischen Bolivien und der Schweiz. Die Fotografie zeigt ein kleines Mädchen. Das Mädchen trägt einen gestrickten, weissen, kurzärmligen Pullover. Ihre Arme hält sie über den Kopf gehoben. Zwischen den Fingern ihrer linken Hand und um den Oberkörper schlängeln sich farbige, schmale Papierbänder. Auf den ersten Blick scheint das Mädchen versunken in ein kindliches Spiel. Aber die in der Fotografie festgehaltene Geste verwandelt sich vor dem Auge des Betrachters in eine gleichsam schwebende Bewegung eines hingebungsvollen Tanzes. Auf dieser Fotografie mit der kleinen, aus Sucre in Bolivien stammenden Mariesol Anglers und ihren Papierbändern, wird in blinkenden Augenblicken ein bewegter und bewegender Tanz sichtbar.
Der Choreograf und Tänzer Franz Frautschi hat von seinem letzten Aufenthalt in Bolivien viele solcher Tanzfotografien mitgebracht. Nicht nur von der kleinen Mariesol. Auch von anderen Kindern und von den acht Tänzern und Tänzerinnen, mit denen er in Sucre, in der von ihm mitbegründeten Tanzkompanie „Bolivianza Danza“, nun schon mehrer Jahre zusammenarbeitet. Angefangen hat dieses Engagement im Jahr 2000 in Kooperation mit der Pro Helvetia. Auf seiner damaligen Tournee durch Bolivien hatte er am „Instituto para las Bellas Artes“ in Sucre einen Tanzworkshop gegeben. Aus dieser ersten Unterrichtstätigkeit ist eine regelmässige, künstlerische Zusammenarbeit geworden. Während Frautschi in der Schweiz weilt, wird die Truppe von Ana Maria de Valdivia im traditionellen Tanz unterrichtet.
Seine Tanzperformance „Danzital“, eine Wortschöpfung aus den Begriffen Danza und Rezital, ist das Ergebnis dieses Austauschs und kulturellen Transfers zwischen Bolivien und der Schweiz. Frautschi führt dort die traditionellen Tänzer und Tänzerinnen sachte zu seiner eigene Bewegunssprache des zeitgenössischen Tanzes. Umgekehrt wird er vom traditionellen Bewegungsmaterial der Volkstänze, von der südamerikanischen Musik und von der Landschaft inspiriert und entwickelt aus diesem Fundus seine eigene Bewegungssprache weiter.
„Danzital“ ist ein Reigen von 13 Tanzstücken geworden, in denen der Tänzer zu südamerikanischer Musik tanzt. Das Credo dieser Tanzperformance lautet Schlichtheit. Nur ein paar Accessoires, ein Poncho, eine Mütze oder eine Hose etwa, werden hin und wieder eingesetzt. Diese Einfachheit hat ihre Gründe. In Bolivien werde aus so wenig so viel gemacht. Nachdem er das gesehen habe, meint Frautschi, wolle er es sich nicht mehr leisten, viel Geld für aufwändige Kostüme auszugeben. Ausserdem geht es ihm darum, alles aus dem Körper selbst zu erschaffen. Körper und Emotion stehen im Zentrum seiner Arbeit. Seinen Körper versteht Frautschi als Gefäss für die Erinnerungen, Erlebnisse und Bilder, die er aus Südamerika mitbringt. Im Tanz werden sie auf die Bühne gebracht, in Bewegung übersetzt, flüssig gemacht, wie er auch meint. Erinnern bedeutet also, in sich hineinzuhören und herauszuholen, um mit dem Körper darzustellen. Dazu braucht Frautschi keine aufwändigen Kulissen. Dafür gibt es die Live-Begleitung vom Gitarristen Benjamin Bunch. Dessen Interpretationen der Werke von Heitor Villa-Lobos und anderen waren ihm von Anfang an Inspiration für „Danzital“.
In der Anordnung des Tanzprojekts nehmen die eingangs erwähnten Fotografien einen besonderen Platz ein. Frautschi versteht sie als Schnappschüsse, denen er keinen künstlerischen Wert beimessen will. Alle aber sind sie Dokumente des Tanztransfers und enthalten sie den Blick des Tänzers, der bewegte Momente festhält. Die Fotografien werden auch als Medium der Erinnerung zum Bestandteil des Tanzabends. Sie sind Stellvertreter für die Tänzer und Tänzerinnen von „Boliviana Danza“, die Frautschi, auch aus finanziellen Gründen, nicht in die Schweiz holen kann. Mit seinen Fotografien und seiner Tanzperformance schafft er in Basel eine Verbindung zu den Tänzerinnen und Tänzern von „Bolivianza Danza“ und bringt uns eine benachteiligte Kultur näher. Nach der Basler Premiere von „Danzital“ wird Frautschi sich mit „Bolivianza Danza“ auf eine Tournee durch Bolivien und Argentinien begeben.
Die Premiere von „Danzital“ fand am 16. August 2003 im Theater Scala in Basel statt, wo im Foyer auch Franz Frautschis Fotos von „Bolivianza Danza“ ausgestellt sind. Weitere Vorstellung am 22. August 2003.
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