Passagen
Samstag, 26. April 2003
Die abgeschaffte Utopie

Revolutionen sind Schnee von gestern. Auch im Theater und selbst wenn das gespielte Stück „Revolution“ heisst. Revolutionen sind ideologisches Versprechen und davon will die Postmoderne nichts mehr wissen.

Damit innovative Theatertexte nicht verstauben gibt es die Antischublade, ein Förderungsprojekt für junge Theaterautorinnen und Theaterautoren. Die Initiative holt die Texte raus aus den Schubladen und „setzt sie einer Inszenierung aus“. Das Projekt soll frischen Wind in die Schweizer Theaterszene bringen. Der Raum 33 in Basel ist neben dem Zürcher Neumarkt Theater und dem Schlachthaus Theater Bern einer der Spielorte, wo die Texte nach einer minimalen Probezeit zur Aufführung gelangen.
Nils Mohl und Max Reinhold sind zwei junge Autoren. Der eine lebt in Hamburg der andere in Berlin. Kennen gelernt haben die beiden sich beim Boxen. Seither treten sie gemeinsam in Performance-Projekten auf und schreiben Theaterstücke. Ihr Erstling mit dem vielversprechenden Titel „Revolution“ wurde nun im Rahmen der Antischublade im Raum 33 auf die Bühne gebracht.
Silvester von Hösslin und Martin Müller;Das Zweimannstück macht eine Bestandesaufnahme des Alltags. Die Probleme der „Kinder des Kalten Kriegs“, der „Vertreter der Atari-Generation“, wie die Selbstbezeichnung lautet, werden da vorgetragen. Die beiden Schauspieler Silvester von Hösslin und Martin Müller sitzen an einem Tisch und stellen allerhand Überlegungen an. Dabei hangeln sie sich gekonnt dem dialogisch aufgebauten Theatertext entlang, surfen auf den Worthülsen des perfektionierten Smalltalks. Von der atomaren Bedrohung schlenkert das Gespräch zum unbekömmlichen Kantinenfrass. Der Austausch über coole Gesten und solche, die man hasst endet bei der Vorstellung des eigenen Klons. Das ist detailversessen und der ironische Bruch lässt keinen Moment auf sich warten, sondern erfolgt postwendend, unnachgiebig und bitterböse. Nächsten Februar soll die Welt untergehen. Oh, denkt man das ist bald und das ist ernst. Dann war es doch ein Missverständnis und dauert doch noch 500 Millionen Jahre. Puh, Glück gehabt, denkt man dann und schiebt das Weltuntergangsszenario beiseite. Und so hat man es gleich vorgeführt gekriegt, das eigene Denken, das mit allerhand Problemen ganz gut leben kann, weil alles zwar immer näher rückt aber trotzdem immer noch genug weit weg ist.
Was den Titel des Stücks betrifft: Die Revolution bleibt ein Versprechen, auf dessen Einlösung man vergebens wartet. Das Stück scheint anti-revolutionär eingestellt. Revolutionen sind Ideologien und davon will die Postmoderne bekanntlich nichts mehr wissen. Revolutionen taugen also noch nicht mal mehr zur Utopie. Aber was wird denn hier nun eigentlich gespielt? Der Bestandesaufnahme der alltäglichen Langeweile jedenfalls kann und will das Stück nichts Neues entgegenhalten. Dafür wird das Problem der Darstellung gleich mit verhandelt. Womit das Programm dieses Theatertextes bezeichnet wäre. Bei aller vermeintlichen Seichtigkeit werden so nebenbei Sprache und Aufführungsbedingungen reflektiert. Dazu gehört auch, dass die Aussagekraft der Sprache beständig hinterfragt wird. Gegen Ende des Stücks taucht die Frage auf, warum denn eigentlich an die Wand klatschende Gehirne so viel interessanter anzusehen sein sollen als erigierte Penisse? Herumspritzendes Gehirn à la Pulp Fiction kriege man eigentlich eben nie zu sehen und deshalb seien sie darstellungswürdiger als das Profane, was sich jeden Tag unzählige Male ereigne. „Revolution“ unterläuft diese Darstellungswut des Absonderlichen gründlichst, indem es das Darstellungsunwürdige auf die Bühne bringt, die Diskurse des Alltäglichen zelebriert und performativ umsetzt. Das ist frech und radikal und wird auch so inszeniert. Die Röntgenbrillen, die das Gegenüber vor dem eigenen Blick entblössen. Man stelle sich das mal vor: Eine Brille aufsetzten und alle Menschen sind plötzlich nackt. Unserer Vorstellung wird auf die Sprünge geholfen. Die beiden Schauspieler ziehen sich aus, einzig die Socken bleiben an. Die nächsten Minuten bestreiten sie ihr Spiel nackt.
„Revolution“ zelebriert und entlarvt gleichermassen das Verhalten einer Generation, die sich kontinuierlich selbst unterläuft und sich augenscheinlich ziemlich langweilt. Das ist unterhaltsam gemachtes Theater von Regisseur Christoph Moerikofer überzeugend inszeniert und von den beiden Schauspielern souverän gespielt.

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